Themenabend: Wird alles elektrisch?
Chancen und Herausforderungen der Sektorkopplung
11. November | 14:30 - 16:00 Uhr | Maritim ProArte Berlin | Saal A, Raum Berlin 1995
Auf unserem 6. Themenabend, stattgefunden im Rahmen des diesjährigen Forum Solarpraxis Neue Energiewelt, diskutierten wir mit unseren Teilnehmenden Fragen rund um die Sektorkopplung. Unsere Referentinnen Julia Badeda, Abteilungsleiterin für Netzintegration und Speichersystemanalyse von der RWTH Aachen, und Dr. Ruth Brand-Schock, Leiterin Politik und Regierungsbeziehungen bei Enercon, brachten Licht in die technisch sinnvollen Möglichkeiten der Sektorkopplung und die notwendigen regulatorischen Rahmenbedingungen. Nach den Impulsvorträgen mit anschließender Diskussionsrunde sammelten sich die TeilnehmerInnen in kleinen "Mauschelgruppen" zusammen um die Chancen und Herausforderungen der Sektorkopplung auszuarbeiten.
Vor dem Hintergrund, dass der Ausbau von EE-Energie sowie ihre Einspeisung ins Stromnetz unumgänglich ist, um die Klimaziele zu erreichen, identifizierte Julia Badeda von der RWTH Aachen drei Herausforderungen, die unser zukünftiges Stromsystem überwinden muss:
1. Wie überbrücken wir die sogenannten "Dunkelflauten", wenn Wind und PV ausbleiben?
2. Wie nutzen wir Überschussstrom infolge von zu viel Wind und PV?
3. Wie können wir eine stark schwankende Spitzenlast regulieren?
Badedas Antwort liegt auf der Hand: Wir benötigen Flexibilitätsoptionen in der Erzeugung und Last von Strom. Die derzeit effektivste und sinnvollste Maßnahme für Badeda ist die Nutzung von überschüssigem EE-Strom im Wärmesektor und Verkehrswesen. Dabei weist Power-To-Heat im Vergleich zu Power-to-Gas (Langfristspeicher) höhere Wirkungsgrade auf und ist zudem kostengünstiger. D.h. dass Wärmepumpen den effektivsten Nutzungsweg für Erneuerbaren Strom im Wärmesektor darstellen. Im Mobilitätssektor sind es Elektrofahrzeuge, die Strom direkt aus Batterien oder aus Oberleitungen nutzen, erklärte unsere zweite Referentin, Dr. Ruth-Schock von Enercon. Den Elektrizitätsbedarf schätzt Badeda bis zum Jahr 2050 auf das 3 bis 5-fache, wenn die Sektoren Strom, Wärme und Verkehr sinnvoll gekoppelt werden. Dass die Deckelung des Zubaus von PV- und Windkraftanlagen, wie von der Politik beschlossen, daher kontraproduktiv auf die Sektorkopplung wirke, war Konsens unter den DiskutantInnen. Auf die Frage hin, ob die Energiewende machbar ist, antwortete Badeda, dass die notwendigen Technologien bereits zur Verfügung stünden, die Gesetzgebung aber hinterherhinke. Ähnlich resümierte auch Ruth-Schock. Der Weg hin zu einem europäischen Strommarkt und einer Versorgung über Erneuerbare Energien sei zur Hälfte schon geschafft. Die großen Herausforderungen lokalisiert sie, ähnlich wie Badeda, in den eher schlechten Marktbedingungen, etwa dem korrekturbedürftigen Emissionshandel, sowie der fehlenden Planungs- und Investitionssicherheit, für die die Politik sorgen müsse. Besonders problematisch für den Einstieg in die Sektorkopplung ist, dass in der Ausschreibung bezugschlagte Erneuerbare Erzeuger verpflichtet sind, ihren Strom vollständig ins öffentliche Netz einzuspeisen. So sieht es die EEG-Novelle 2017 vor. Das bedeutet aber, dass die Nutzung weiterer EE-Strommengen ohne Netzeinspeisung vor Ort derzeit unzulässig ist. Eine regionale Stromversorgung mit EE unterhalb der Netzebene wird so verhindert. Was die Sektorkopplung noch erschwert, ist eine Reihe von Abgaben und Umlagen, die - verglichen mit Treibstoff und Brennstoffen zur Wärmeerzeugung - für Strom zu zahlen sind. (Darunter fallen das Netzentgelt, die EEG-Umlage, die Stromsteuer, Konzessionsabgabe, KWK-Umlage usw.) Ruth-Schock glaubt nicht an die Konkurrenzfähigkeit und Wirtschaftlichkeit von Strom in den Sektoren Wärme und Mobilität, solange diese zusätzliche Kostenlast nicht umgeschichtet wird. Positiv ist laut Ruth-Schock aber, dass mit dem Ende der Vergütungsdauer im EEG ab 2020 immer größere kostengünstigere Grünstrommengen für eine breite Nutzung verfügbar werden.
Wie sich in der regen Diskussion vorwiegend innerhalb der männlichen Teilnehmer zeigte, ist die Gefahr, dass sich ein "Inselsystem" unter den Eigenverbrauchern der Industrie und des Gewerbes durchsetze groß, wenn die Kostenlast nicht abnehme. Die Konsequenz wäre dann aber, dass die Entscheidung für eine autarke Versorgung und gegen die Stromeinspeisung in das öffentliche Netz nicht das ganze Potenzial von bspw. Freiflächen für PV ausschöpfe. Zusätzlich würden sich diese Akteure aus der Verantwortung stehlen. Schließlich ist die Energiewende eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Der Unternehmer denkt betriebswirtschaftlich, während die Referentinnen und Teilnehmerinnen des Themenabends volkswirtschaftlich argumentierten, also aus gesamtwirtschaftlicher und gesellschaftlicher Perspektive und über den Tellerrand hinweg, mit dem Ergebnis, dass die Energiewende eine gerechte Verteilung der Systemkosten verlange. Was den Männern also fehle, sind sinnvolle politische Rahmenbedingungen. Frauen, ran ans Werk!
Programm
Moderation: Miriam Janke
14:30 Uhr Impulsvortrag Julia Badeda, Abteilungsleiterin Netzintegration und Speichersystemanalyse, RWTH Aachen
14:45 Uhr Impulsvortrag Dr. Ruth Brand-Schock, Leiterin Politik und Regierungsbeziehungen, Enercon
15:00 Uhr Diskussion